Mittwoch, 27. Juli 2011

Verfilmt



Früher waren Computerspiele einfach nur Spiele. Man konnte sie gewinnen. Kann ich heutzutage noch vom Gewinnen reden, wenn Nico, nachdem er seinen geliebten Cousin durch eine für ihn bestimmte Kugel verloren hat, keuchend vor dem toten Dimitri Rascalow steht, nicht wirklich siegestrunken vor Glück? Früher ging es darum, möglichst viele Punkte zu bekommen. Bekam ich Punkte, als Faith ihre Schwester mehr als tausend Meter über dem Boden über die Kante eines gigantischen Hochhauses zieht? Und ihre Hauptpersonen waren noch klassische Helden, die ein Vorbild für den Spieler waren. Ist Vito Scarletta ein Vorbild? Viele Videospiele haben es nicht mehr verdient, als schlichte Spiele bezeichnet zu werden, sie sind so viel mehr als das. Sie sind das nächste große Erzählmedium. Neben Büchern, Filmen und Musik (Wobei Musik in unserer Zeit als Erzählmedium praktisch keine Rolle mehr spielt, ihr kommen andere Aufgaben zu), hat das auch das Game die Fähigkeit, tiefgründige Geschichten zu erzählen, komplexe Charaktere zu entwickeln und schwierige Themen zu behandeln. Die Storys von Spielen beschränken sich nicht mehr nur auf eine Rahmenhandlung rund um das ausgefeilte Spielprinzip, sie werden immer mehr zum Kern des Spiels. Das kann extrem passieren, wie in Heavy Rain oder Fahrenheit, wo eher das Spiel den Rahmen um die Geschichte bildet, es ist aber auch möglich Geschichte und Spiel, Charaktere und Spielmechanik miteinander zu verbinden, wie es beispielsweise in Mass Effect zu sehen ist. Hier dient ein Zentrales Spielelement dem vertiefen der Charaktere und dem Weiterführen der Handlung: Die Dialoge. Ohne sie wäre Mass Effect als Spiel lange nicht so gut, außerdem wäre die Geschichte praktisch nicht mehr existent. Andere Spiele erzählen ihren Plot zwar in eingebetteten Zwischensequenzen, einer Anleihe am Film, in dieser Zeit pausiert die Spielmechanik fast vollständig, und doch ergeben die Missionen in Mafia 2 nur mit den Zwischensequenzen Sinn, verbinden sie sich zu einem tiefgründigen, wenn auch nicht makellosen Spiel. Vor allem mit Zwischensequenzen nähert sich das Videospiel also dem Film an, von dem es sich vieles ausgeliehen hat. Videospiele verwenden eine abgewandelte Form der Dramaturgie, wie sie in Filmen erfunden wurde. Genau wie die bewegten Bilder werden auch die bewegbaren Bilder von passender, meist extra komponierter Musik begleitet. Dabei ist das Videospiel dem Film schon lange nicht mehr unterlegen, die Musik von Mafia 2 oder Mass Effect kann es locker mit aktuellen Blockbuster-Soundtracks aufnehmen.

Sogar die Art wie der Film meist seine Akteure darstellt wird von Spielen kopiert: In L.A. Noire liehen echte Schauspieler den Spielfiguren ihre zuvor aufgezeichnete Mimik. Man sieht also, die Spiele werden immer mehr zu spielbaren Filmen, diesmal aber im positiven Sinne. Denn schon vor zehn Jahren gab es das damals als die Revolution gefeierte Genre der "Interaktiven Filme". Oft mit Filmschnipseln durchsetzte Adventures, deren Spieldarstellung durch die damalige Technik einen gigantischen Unterschied zu den mit Schauspielern gedrehten Filmchen aufwies, und deren Spielmechanik zur Darstellung der Filmelemente geradezu kastriert wurde. Glücklichweise verschwand deiser erste Versuch des stark Storylastigen Videospiels wieder vom Markt, um den Spielen platz zu machen, die Story und Spieldesign geschickt ineinander zu verweben wussten, wie Privateer 2 oder viel später Half Life 2. Natürlich waren dies nicht die ersten Storylastigen Videospiele, schon im 2D Zeitalter konnten Spiele eine Handlung an den Spieler übermitteln. Doch wo früher Spiele ohne richtige Story nichts besonderes waren, man denke nur an den ersten Ego-Shooter Doom, müssen Spiele die heutzutage keine vernünftige Geschichte mehr erzählen können harte Kritik dafür einstecken. Sogar Rennspiele erzählen mittlerweile eine Story, auch wenn diese noch nie über das Komplexitätsniveau eines "Missing in Action" hinausging. Eine Geschichte gehört mittlerweile einfach zum guten Ton, sie ist Teil eines modernen Spielerlebnisses. Was nicht verwunderlich ist, sie rundet die Spielmechanik gut ab, gibt dem Spieler einen Grund für seine Taten, und begründet das Geschehen. Außerdem kann sie ein entscheidender Motivationsfaktor sein, das Spiel durchzuspielen, oder gar den Nachfolger zu Spielen, ist sie gut erzählt.

Es gibt aber noch einen letzten Aspekt, der Videospiele und ihre Geschichten von anderen Erzählmedien abhebt: Videospiele sind interaktiv, das bedeutet logischerweise, dass sich die Geschichte verändern kann, je nach dem wie der Spieler in bestimmten Situationen handelt. Meist sind dies Entscheidungen, vor die das Spiel den Spieler stellt, es kann aber manchmal auch ganz einfach ein Scheitern des Spielers sein, das die Handlung beeinflusst. Bei diesem Aspekt stehen sich Spiele allerdings mit ihrer immer aufwändiger werdenden Präsentation ein wenig selbst im Weg. Denn: Was auch immer in der Handlung geschieht, das Spiel muss vom Entwickler darauf vorbereitet sein, eigene Handlungsverläufe kann sich das Spiel nur sehr schwer ausdenken, schon gar nicht kann es sie angemessen inszenieren, jede Zwischensequenz muss vom Regisseur, vom Texter und vom Grafiker erdacht worden sein, damit der Spieler sie erleben kann. Diese Hürde macht den dynamischen Storyverlauf möglicherweise zum nächsten großen Thema, dem sich Videospiele in Zukunft auf ihrem Weg zum wirklich großen Erzählmedium stellen müssen. Wenn die Spiele in ihrer Präsentation nicht mehr von Filmen zu unterscheiden sind, dann wird man sich überlegen, wie man denn die Interaktivität jetzt wieder zum Vorschein bringt.

1 Kommentar:

  1. Aus Gründen der Abrundung (nicht zu häufig das gleiche erwähnen) hätte ich statt Mass Effect bei der Musik sowas wie Oblivion erwähnt.
    Aber ein ziemlich guter Artikel.

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